Freitag, 15. März 2013

Les Misérables - Die elenden Nicht-Sänger

Ich hab geträumt vor langer Zeit, von einer Musical-Verfilmung mit einer Cast, die singen kann... Unter diesen Verfilmungen ist jene von Rent eine der wenigen Ausnahmen. Trotz aller Vorwarnungen meiner Theaterkollegen, mir den Film im Kino zu ersparen, musste ich wieder einmal beweisen, dass ich unbelehrbar bin, und mir meine eigene Meinung bilden muss.
Die erste Einstellung ist so, wie man sich monumentales Drama-Musical-Kino vorstellt: Hunderte von Gefangenen versuchen ein riesiges Schiff in eine Werft zu ziehen – Regen und Wind sind unerbittlich. Einer von ihnen ist Jean Valjean (Hugh Jackman), den sein Aufseher Javert (Russel Crowe) besonders gerne demütigt. Leider ist dies auch schon eine der wenigen Szenen gewesen, in der sich eine Kinoleinwand bezahlt macht. In den Gesangsszenen wird hauptsächlich mit Close-ups gearbeitet, welche die Zuschauer besonders nahe an der Geschichte der Figuren teilhaben lassen soll. Eine nette Idee, da man ja im Theater eher selten die Gelegenheit hat den Darstellern so nahem zu sein, aber ganz geht dieses Prinzip nicht auf. Vielleicht liegt es daran, dass Fantine (Anne Hathaway) und Co zwar wunderbar leiden, aber gesanglich einfach zu schwach sind. Man hört sofort, wer da unter den Darstellern vom Musical kommt und wer nicht. Samantha Barks macht ihre Sache als Eponine genauso eindrucksvoll wie beim 25-Jahre Jubiläum auf der Bühne. Aaron Tveit kann nicht nur schaupielerisch und optisch, sondern auch gesanglich vollends als Enjolras überzeugen. Eddie Redmayne ist als Maruis wahnsinnig knuffig und weint wunderbar herzzerreißend, leider stört mich sein übertriebenes Timbre, aber das ist Geschmackssache. Und eines muss man den Herrschaften aus englisch sprechenden Gefilden einfach lassen: Sie können Kinder casten! Gavroche und die kleine Cosette sind große Klasse! Helena Bonham Carter und Sacha Baron Cohen (hat man sie als Ehepaar gecastet, weil sie beide 3 Namen haben?) sind tolle Thénadiers, die wieder einmal ihr Feingefühl für Komik unter Beweis stellen. Aber seien wir ehrlich: Master of the House kann man gar nicht kaputt machen – dafür ist die Nummer viel zu gut geschrieben.
Das war es auch schon mit den Darstellern, die gesanglich mithalten können. Und diese sind leider nur die Nebenrollen… Damit zu den Hauptrollen: Für mich ist die Rolle der Cosette nach wie vor eine der langweiligsten im gesamten Musical. Amanda Seyfried macht es nicht besser. Sie bleibt genauso blass wie ihre Stimme. Russel Crowe: Um seine Figur zu zitieren: „I can’t believe my eyes.“ Besser gesagt: „I can’t believe my ears!“ Bei Stars möchte man sich die Ohren zuhalten. Wenn er in den unteren Lagen bleibt, ist es erträglich, aber der Rest… Außerdem sieht man ihm bei jedem Lied an, dass er gar nicht schauspielern kann (falls er denn das tatsächlich abgesehen von A beautiful mind kann sein dahingestellt), weil es so verkrampft mit dem Singen kämpft. Wer auch immer das verbrochen hat, diese Kultfigur des Musicals einen Darsteller spielen zu lassen, der nicht singen kann, den möchte ich treffen und mal die Meinung geigen! Nicht nur, dass der arme Russel bei jedem Lied völlig gequält wirkt, sondern er wird am Ende der langen Töne ausgefaded, bevor es noch einen Halbton tiefer geht. Kein Wunder, dass er am Ende keinen anderen Ausweg sieht, als sich von der Brücke zu stürzen.
Als Fantine spielt Anne Hathaway gut und gibt in I dreamed a dream wirklich alles, aber manchmal ist selbst das Beste nicht gut genug. Auch ihr fehlt jegliches Stimmvolumen um diesen Klassiker der Musicalsongs entsprechend interpretieren zu können.
Hugh Jackman: Ja, er ist ein total sympathischer Typ, alleine schon deswegen, weil er Australier ist und eine Frau hat, die nicht wie eine magersüchtige Irre aussieht, aber trotzdem! Er spielt gut und rettet sich den größten Teil des Filmes über gekonnt über diverse schwierige Passagen, aber Bring him home ist ihm einfach zu hoch. Als er dann die letzten Töne krächzt, fleht man die Leinwand an: „Bitte wechsle doch in die Kopfstimme!“ Leider hört er nicht auf einen. Auch hier ist es mir unverständlich wozu man jemanden castet, der das Titellied der Figur nicht singen kann.    
Was die Ausstattung betrifft, empfinde ich auch manches als fragwürdig. Die Huren und Bettler sind allesamt sehr dreckig und zerlumpt dargestellt – frei nach übertriebenem Bühnen Make-up. Ein Stilmittel, das gefallen kann, oder nicht, aber leider ist es nicht konsequent: Die Prostituierten sind ausgemergelt und blass, ihr Gesicht mit Schmutz und Pusteln übersäht, aber ihre Zähne sind strahlend weiß. Anscheinend waren alle beim Zahnarzt von Tom Cruise. Somit finde ich die Entscheidung Les Misérables den Oscar für das beste Make-up zu geben, noch weniger nachvollziehbar. Wenigstens ist man bei den Nahaufnahmen von Anne Hathaway beruhigt, denn sie wurde offensichtlich einfach gar nicht geschminkt, und da entdeckt man den einen oder anderen Pickel auf Stirn und Kinn.  
Die Barrikaden: DAS zentrale Motiv von Les Mis sind wohl die Barrikaden. Dann kommt es zur Revolution und man wartet auf eine monumentale Einstellung einer Masse, die auf den Barrikaden für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit einsteht und dann… Werfen Leute ihre Möbel aus dem Fenster (Das hat was von Knut. Nicht dem Eisbären, sondern dem letzten Tag des Weihnachtsfestes in Schweden, an dem laut IKEA Werbung die Weihnachtsbäume aus dem Fenster wirft.) und in einer kleinen Seitenstraße wird ein Barrikärchen errichtet, das von 10 Mann verteidigt wird. Im Gegensatz dazu ist das Schlussbild eine Barrikade, die der chinesischen Mauer Konkurrenz zu machen scheint, hinter der sich Tausende versammelt haben. ??!! Diese Verhältnisse entziehen sich meinem Verständnis.
Schade, dass man glaubt auf „Stars“ setzen zu müssen, um diese Geschichte verkaufen zu können und dabei auf das Wesentliche bei einem Musical – den Gesang – vergisst. Das „gelobte“ Konzept von Regisseur Tom Hooper, die Darsteller live vor der Kamera singen zu lassen, und nicht playback wie sonst üblich, ist ambitioniert, funktioniert aber nur bei denen, die Musicalerfahrung haben. Beim Rest wäre es besser gewesen im Tonstudio nachzuhelfen. Man kann sich damit tröstet, dass dieses Mal kein James Bond mit dabei ist (obwohl, so eine Strophe von Daniel Craig würde sicher zur Auflockerung beitragen) Alles in allem: Ein Film, den man sich als Musical-Fan ansehen sollte, um mitreden zu können, nach Hause zu fahren, sich dort die DVD einer konzertanten Aufführung anzusehen, oder die CD anzuhören, und zu wissen, dass man sich den Kauf der DVD musikalisch gesehen schenken kann.

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